Rückblick 2023
6. Jahrestagung Verteilnetzforum
20. Juni 2023 | Rüschlikon, Schweiz
Die sechste Ausgabe des Verteilnetzforums beschäftigte sich am 20. Juni 2023 neben der Revision StromVG und EnG, dem Stand der aktuellen Gesetzesberatung, der Grundversorgung und Versor-gungssicherheit, der Netzplanung im Kontext der Energiewende, mit der richtigen Beschaffungsstra-tegie, auch mit der resilienten Orchestrierung des Verteilnetzes und der Netzstabilität.
Mit rund 60 Teilnehmenden wurde erneut in offener und konstruktiver Atmosphäre im schön gelegenen GDI in Rüschlikon über die aktuellen und künftigen Herausforderungen für Schweizer Verteilnetzbetreiber diskutiert. Zu Beginn ordnete
Dr. Mohamed Benahmed, Leiter Sektion Netze, Bundesamt für Energie BFE, die gegenwärtigen Entwicklungen des Netzgeschehens ein. Der Mantelerlass mit Revisionen zum Ener-gie- sowie Stromversorgungsgesetz sollte nach aktueller Planung zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Eine Rückerstattung von Netzentgelten wäre dann auch für P2X Anlagen möglich. Ebenfalls könnten sich die Endverbraucher zu einer lokalen Elektrizitätsgemeinschaft «LEG» zusammenschliessen und das öffentliche Netz mit einem Abschlag von maximal 60% vom ordentlichen Netzentgelt nutzen. Auch das Messwesen soll zumindest teilweise liberalisiert und das Kundenbedürfnis nach «Echtzeitdaten» vorangetrieben werden. Gerade die Teilliberalisierung im Messwesen ist jedoch noch strittig zwi-schen den Räten. Es ist auch ein nationales Datenregister für Messdatenaustausch in Planung. Flexi-bilität soll (vorrangig) für den Netzbetreiber einsetzbar sein, für den Kunden bestünde die neu anstelle eines «Opt-in» eine «Opt-Out» Möglichkeit. Weitere Reservekraftwerke sollen ab Sommer mit einer Leistung von 1'000 MW ausgeschrieben werden.
Anschliessend thematisierte Dr. Karin Söderström, Fachspezialistin Energieforschung und Cleantech, Bundesamt für Energie BFE die Sandbox Projekte. Diese versprechen einen Mehrwert von innovati-ven Technologien und Geschäftsmodellen in einem stark regulierten Sektor. Jedoch betreffen diese nur die Bestimmungen zu Grundversorgung, Aufgaben der Netzbetreiber und Netznutzung. Ziel sei, die Mehrwerte / Innovationen LIVE im Netz zu testen. Das BFE nimmt entsprechende Anfragen für «Regulatory Sandboxes» gerne entgegen.
Dr. Barbara Wyss, Leiterin Sektion Preise und Tarife, Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom ging auf die Versorgungssicherheit und die aktuelle Strompreissituation ein. Die neue Winterreserve gehört zur den Systemdienstleistungen und damit zur Netznutzung. Sofern die Systemdienstleistungskosten separiert dargestellt werden, müssen auch die Kosten der Winterreserve separat ausge-wiesen werden. Für tarifglättende Massnahmen seien auch weiterhin Unterdeckungen möglich. Die eigentliche «Kampagne» Unterdeckungen mit dem Ziel jene aus der Vergangenheit abzubauen, werde jedoch zeitnah mit wenigen Verfügungen abgeschlossen.
Dr. Katja Keller, Leiterin Netzwirtschaft, BKW gab uns ein Update aus der Sicht der Branche. Der Autarkiegrad bei starkem PV-Ausbau steigt selbst in einzelnen Gemeinden nicht über 37%. Zudem wird ein Pauschalverfahren / Vergütung für Netzverstärkungen (für den Anschluss von Erneuerbaren Anlagen) gewünscht.
Dr. Thomas Marti, Bereichsleiter Netze und Berufsbildung, Verband Schweizerischer Elektrizitätsun-ternehmen VSE, berichtete von OSTRAL aus Sicht des VSE. Schweizweit sollen einheitliche Informa-tionen zur Abschaltung über eine App oder Webpage bereitgestellt werden.
In der anschliessenden Diskussionsrunde mit Dr. Mohamed Benahmed, Dr. Barbara Wyss, Dr. Katja Keller und Dr. Thomas Marti, moderiert von Dr. Markus Flatt, wurde nochmals detailliert auf OSTRAL, die Stromreserve, auf Smarte Netze, LEG und Netzverstärkungen eingegangen. Die Teilnehmer des Podiums waren sich einiges, dass in den nächsten Jahren viel gehen muss und die Herausforderun-gen für alle Akteure gross sind. Wichtig sei nun Rechtssicherheit mit dem neuen Mantelerlass.
Nach dem Mittagessen stellte Nico Waldmeier, geschäftsführender Partner, EVU Partners, den Teil-nehmenden die Frage: «Führen Grundversorgung und hohe Marktpreise zur Konsolidierung der Bran-che?» Er beleuchtete dabei insbesondere die aktuelle Energiepreissituation und die Beschaffungsstrategien, welche bei einzelnen Netzbetreibern fehlendes Risikomanagement aufgedeckt hätten. Sein Fazit: eine Konsolidierung ist nicht gerade absehbar, aber Tempo und Druck nehmen zu. Zahlreiche kleine Netzbetreiber und Gemeinden haben im Rahmen der Krise den Handlungsbedarf erkannt und sind daran sich über ihre Zukunft ernsthaft Gedanken zu machen.
Riccardo Pozzi, Leiter Energiewirtschaft, Primeo Energie berichtete uns anschliessend die Learnings der Primeo Energie zur Strombeschaffung aus der Energiekrise 21/22. Und er teilt mit Nico Waldmeier eine Erkenntnis: Energiebeschaffung in Tranchen zu unterschiedlichen Zeitpunkten über Jahre hinweg glättet das Risiko von Preisverwerfungen. So sollte die Beschaffungsstrategie (Tranchenbe-schaffung) stets beibehalten – und nicht panisch geändert werden. Er informierte auch, dass für die Vollversorgung zukünftig mit höheren Risikoaufschlägen gerechnet werden müsste. Auch Langfristverträge können dabei als interessante Alternative gelten: auch hier gilt es aber beim Zeitpunkt und bei der Preisfestlegung die damit verbundenen Risiken gut im Auge zu behalten.
Mit Langfristplanung und einer langfristigen Beschaffungsstrategie folgte Marco Huwiler, Geschäftslei-ter Technische Betriebe Wil (TBW) und Departementsleiter Versorgung und Sicherheit. Auch er teilte eine Erkenntnis seiner Vorredner: Ein Energieversorger kann sich keine Spekulation zulasten seiner Endkunden erlauben. Gleichzeitig zeigte er auf, dass der Aufbau von mehr Eigenproduktion herausfordernd ist.
Abschliessend diskutierten Nico Waldmeier, Riccardo Pozzi und Marco Huwiler, moderiert von Dr. Markus Flatt die Themen Beschaffung und den Grundversorgungsauftrag beim Netzbetreiber.
Nach der zweiten Kaffeepause, in der die Themen angeregt diskutiert wurden, ging René Soland, Leiter Geschäftsbereich Netze und Mitglied der Geschäftsleitung, AEW Energie auf die Energiewende und die damit verbundenen Herausforderungen für Verteilnetzbetreiber ein. Der Zubau von Solaranlagen verändert den Netzlastverlauf. Und es kommen laufend Kosten für den Netzausbau/Sanierung hinzu. Dies sei aber bewältigbar, letztlich baue mal seit über 100 Jahren Netze. Die AEW Energie sei u.a. mit nächtlichen Netzberechnung mit aktuellen Messdaten dazu gut aufgestellt. Die Herausforderungen, insbesondere auch auf administrativer Ebene, würden aber gewaltig gewachsen.
Olivier Barthe, Product Manager Smart Grid, Swistec Systems referierte über eine resiliente Orchestrierung des Verteilnetzes. Er differenzierte zwischen der zeitlichen Disparität (Einspeisung und Energiebedarf (Last)) und einer örtlichen Disparität. Wichtig sei eine vorausschauende Orchestrierung des Netzes und resiliente, dezentrale Verteilnetz-Steuerungen. Mit mehr Steuerung, mehr Flexibilität und einem zunehmenden «Smarten» Grid gelinge es, Lasten zu verschieben und Energiespeicher zu nutzen. Nur so sei die Netzentwicklung für die Energiewende nachhaltig und finanzierbar.
Pascal Kienast, COO & Co-Founder, CLEMAP sprach sich für smarte und stabile Netze aus, um da-bei Flexibilitäten zu nutzen. Es läge daran, die Daten zwischen Kunden und Netzbetreiber abzustimmen. Dadurch könnten die Netzbetreiber ihren Netzausbau reduzieren. Das Projekt von AIL ermöglicht flexiblen Kunden einen Netzentgeltrabatt von 1 Rappen pro kWh bzw. 1 CHF pro kW pro Monat. Diese finanziellen Anreize erhöhen letztlich die Akzeptanz seitens der Kunden.
Das Verteilnetzforum fand seinen thematischen Abschluss in der Diskussionsrunde mit René Soland, Olivier Barthe, Pascal Kienast und Tobias Mohrhauer, moderiert von Dr. Markus Flatt zu den Themen Flexibilität und Netzplanung.
Moderiert wurde der Tag von Dr. Markus Flatt, geschäftsführender Partner von EVU Partners. Flatt gab den hochkarätigen Beiträgen und Diskussionsrunden einen optimalen Rahmen und hat die Refe-rentInnen mit den richtigen Fragen und dem Einbezug des Publikums gefordert. Nicht zuletzt die pro-duktiven Diskussionen und das ausgezeichnete Networking, sowie die sehr gute Stimmung aller Teil-nehmenden und Referenten rundeten den Erfolg der Tagung ab.
Das nächste Verteilnetzforum findet am 26. Juni 2024 in Zürich statt.